Da kam plötzlich vom Himmel her ein Brausen… (Apg 2,2)
„Komm, Schöpfer Geist, kehr bei uns ein“, singen wir in einem bekannten Pfingstlied. Pfingsten ist das Fest des Heiligen Geistes und zugleich der Geburtstag der Kirche. Wir erinnern uns an den Anfang der christlichen Gemeinde, ein wahrlich Geist-bewegtes Ereignis. Der Geist Gottes hat damals die bunt zusammengewürfelte erste Gemeinde so ergriffen, angesteckt und begeistert, dass sie einander verstanden haben über alle kulturellen und sprachlichen Grenzen ihrer Herkunft hinweg. In
gegenseitigem Verständnis waren die ersten Christen durch den Heiligen Geist miteinander verbunden.
Gerade heute dürfen wir als Gemeinschaft der Christen auf diese Kraft des Geistes vertrauen. Gerade in den Wochen des Versammlungsverbotes ist uns diese Verbundenheit, die der Heilige Geist über räumliche Distanz hinweg schenkt, so wichtig und wertvoll geworden. Im gemeinsamen Gebet zur verabredeten Zeit, im Hören und Mitfeiern der Gottesdienste im Fernsehen oder vor dem Computer – wir sind verbunden miteinander in unserm Glauben, Hoffen und Lieben. Durch den Heiligen Geist!
Ich blicke auf den Jüngerkreis, der da versammelt war am Tag von Pfingsten – als der Herr selbst zu ihnen kam. Was waren das für Menschen? Waren das überzeugte, tapfere Bekenner, die Jesus bis zum Kreuz auf Golgotha gefolgt waren? Mitnichten! Aus Angst hatten sich die Jünger versteckt und alle Türen verschlossen. Verängstigt und von Zweifeln angefochten waren sie – kopflos und führungslos. Was sollte aus ihnen werden, ohne ihren Herrn und Meister? Sie waren besorgt um ihr eigenes Schicksal, sahen sich an Leib und Leben bedroht durch die ihnen feindlich gesinnte Menge.
Ich entdecke da durchaus auch Parallelen zu unserem Fühlen und Empfinden heute –
da nicht ein Brausen vom Himmel uns ergreift, sondern die durch Corona hervorgerufene Pandemie ihren lebensfeindlichen Hauch über die Menschen weltweit ausstößt. Stabilität und Sicherheit in unserem Leben sind weggebrochen, ausgesetzt. Die unser Leben haltende Kraft der Normalität ist uns abhandengekommen.
Wenn ich mir vor diesem Hintergrund die Pfingsterzählung nach Apostelgeschichte 2,1-11 durchlese, dann finde ich hier auch so etwas wie einen Kontrollverlust. Die Jünger verlieren die Kontrolle über sich selbst und über die Gemeinde. Bisher hatten sie sich ja versteckt, um nicht aufzufallen. Aber dann gerät die Situation außer Kontrolle. Ein Brausen vom Himmel, feurige Zungen – und die Jünger gehen nach draußen und reden in verschiedenen Sprachen. Gottes Geist bewirkt also Kontrollverlust.
Genau das ist es, was Gott an Pfingsten tut: Er übernimmt die Kontrolle. Er sorgt dafür, dass die Jünger nicht mehr von ihrer Angst kontrolliert werden, sondern rausgehen. Die Jünger verlieren die Kontrolle, weil Gott sie übernimmt. Das ist Pfingsten. Aber entscheidend ist: In und aus diesem Kontrollverlust entsteht Neues – entsteht unsere Kirche. Unserer Kirche sieht man diese ihre turbulenten Anfänge meistens nicht mehr an. Strukturen und Ordnungen, die ja durchaus wichtig sind im Zusammenleben der Menschen, haben sich herausgebildet und sehr oft als unwandelbar verfestigt.
Durch die Corona-Krise bedingt sind wir gerufen, neue Formen des Kirche-seins, des Kirche-lebens zu entwickeln, was auch vielerorts in diesen Tagen und Wochen geschieht – voller neuer Ideen, Kreativität, Innovation und Lebendigkeit. In diesen neuen Wegen, die da beschritten werden, in diesen neuen Ansätzen, unseren Glauben heute zu leben und zu verkünden, sehe ich das Wirken des Heiligen Geistes – der sich eben nicht in unsere Strukturen einfügt, mit denen wir uns schließlich so viel Mühe gegeben haben, sondern der uns herausruft zu neuen Ufern.
An Pfingsten feiern wir den Geburtstag der Kirche – Ihnen allen darum herzlichen Glückwunsch!
Pfarrer Konny Keutmann