Du stellst meine Füße auf weiten Raum …

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… Die Kraft des Wandels – Das MISEREOR-Hungertuch 2021

Das MISEREOR Hungertuch 2021 von Lilian Moreno Sánchez (c) MISEREOR

Die Corona-Krise trifft uns alle – unsere Räume sind eng geworden. Das Virus hat überall auf der Welt unsagbar große Opfer gefordert und unsere Gewissheiten erschüttert. Die Corona-Krise ist die erste globale Pandemie dieses Jahrtausends und sie trifft die Länder des Südens noch viel härter als uns. Nutzen wir das Fenster, das sich gerade öffnet, den „weiten Raum“, der sich auftut, um den Blick hin zu neuen Perspektiven und der Idee des Wandels zu öffnen. Eine andere Welt ist möglich.

Basis des Bildes von Lilian Moreno Sánchez auf dem MISEREOR-Hungertuch 2021 ist ein Röntgenbild, das den gebrochenen Fuß eines Menschen zeigt, der in Santiago de Chile bei Demonstrationen gegen soziale Ungleichheit durch die Staatsgewalt verletzt worden ist. Das Bild ist auf drei Keilrahmen, bespannt mit Bettwäsche, angelegt. Der Stoff verweist auf die Frau, die Jesu Füße salbt (Lk 7,37f) und auf die Fußwaschung (Joh 13,14ff).

MISEREOR und „Brot für die Welt“ setzen mit diesem Hungertuch ein Zeichen für die Ökumene: Gemeinden beider Konfessionen nutzen das Bild und machen Mut, weiter an der Einen Welt zu bauen.

Christian Herwartz SJ aus Berlin schreibt dazu: Das Hungertuch als Wegweiser auf der Straße

Wenn wir etwas Neues mit den Händen schaffen, dann vergessen wir oft die uns tragenden Füße. Bei einem Kind oder einer Geliebten streicheln wir sie noch; beim Tanzen drücken wir mit ihnen unsere Freude aus, und beim Pilgern lassen wir uns wie Israel aus dem babylonischen Exil in die Weite Gottes tragen: „Du stellst meine Füße auf weiten Raum.“ (Psalm 31,9) Im Gegensatz zu den Füßen öffnen sich bei der Begrüßung eines Gastes unsere Hände. Die Füße bleiben oft verborgen. Auf ihnen sehen wir wie auf einem zweiten Gesicht intime Spuren der Lebensabschnitte, in denen wir nicht gesehen wurden.

Doch mit ihnen hinterlassen wir unseren Fußabdruck auf der Straße des Lebens. Wird sie uns in eine lebensfreundliche Welt mit Hand und Fuß führen? Oder haben wir die Natur so stark ausgebeutet, dass die
Lebensmöglichkeiten der kommenden Generationen beschnitten sind?

Bei einer Demonstration gegen steigende Lebenshaltungskosten und ungerechte Bildungs- und Arbeitschancen in Santiago de Chile verlor im Oktober 2019 der uns entgegenkommende Fuß auf dem Hungertuch den „Boden unter den Füßen“ und zerbrach beim anschließenden Polizeieinsatz, der von der landesweiten sozialen Ungleichheit ablenken sollte: 5000 Verletzte, 26 Todesfälle, mehr als 7000 Verhaftungen. Lilian Moreno Sánchez erinnerte das Geschehen und zeichnete das Röntgenbild auf die Bettwäsche.

Im Lukasevangelium ist zu lesen: Eine in der Gesellschaft verstoßene Frau wäscht in ihrer Not Jesu Füße mit ihren Tränen. Jesus verteidigt ihre Würde vor den versammelten Männern. Als ihn die Angst vor seiner
Ermordung überwältigen will, wäscht er seinen Jüngern und Jüngerinnen die Füße (Joh 13). Petrus will diesen Sklavendienst nicht annehmen. Doch Jesus ermahnt ihn, dies zuzulassen und ihn selbst zu erlernen. Petrus zieht – ähnlich wie Mose vor dem Angesicht Gottes im brennenden, aber nicht verbrennenden Dornbusch – seine Schuhe im Respekt vor der ganzen Wirklichkeit des Lebens aus, die wir Gott nennen.

In dieses Jetzt sind auch wir gerufen. Für diesen alltäglichen Kampf – so ermahnt uns Paulus im Epheserbrief – sollten wir nach der Rüstung Gottes greifen, den Gürtel der Wahrheit anlegen und in die Schuhe der Bereitschaft schlüpfen und uns so für das Evangelium des Friedens einsetzen (Eph 6,15). Der Brief ist an Juden gerichtet, die sich zu Jesus als ihrem Messias bekennen. Paulus listet die Schritte ins Leben für sie und uns nach einer solchen Glaubensvertiefung auf: Dank, Entdecken des Glaubens der Kirche, Beistand für die Bedrängten und das Gebet für die Menschen (Lk 7,36ff).

Wir sind eingeladen, den intimen Raum unserer Herzen zu öffnen und unseren Fuß in den weiten Raum Gottes zu setzen, der uns, mit ihm verwandt (Gen 1,26) und nach seinem Bild als Mann und Frau erschuf und der uns seinen Geist einhauchte (Gen 2,7; Joh 20,22), der in der Nachfolge Jesu zum liebenden Rollenwechsel befähigt (Lk 24,30). Unser Mitgefühl mit den Beiseite-Geschobenen, den Trauernden, Kranken, Hungrigen, Verirrten entfaltet sich (Mt 10,7) und lässt uns in dem anvertrauten Licht wachsen (Joh 8,12), das in unserer Liebe auch für andere sichtbar wird.

www.misereor.de